DIE PRESSE
Unabhängige Tageszeitung für Österreich
Montag, 21. August 1989, Seite 1

Fluchtwelle reißt nicht ab Tausend DDR-Bürger frei?

(Von Tibor Fényi und Peter Martos)
BUDAPEST/WIEN
Die größte Massenflucht seit dem Bau der Berliner Mauer im Jahr 1961 hat westlich des Neusiedler Sees wahrscheinlich tausend DDR-Bürgern die Freiheit beschert. Nach Agenturangaben wurden bis Sonntagmittag 661 "Neo-Deutsche" aus Wien in die verschiedenen bundesdeutschen Lager transportiert: in zahlreichen Orten des Burgenlandes hielten sich aber noch am Nachmittag Gruppen von Flüchtlingen auf Gerüchte, wonach die Massenflucht mit etwa 170 Personen begonnen hätte, die aus der Bonner Mission in Budapest an die Grenze gebracht worden wären, wurden vorerst nicht bestätigt. Der Ablauf ind das Verhalten der ungarischen Grenzer hatten Augenzeugen vermuten lassen, die Massenflucht sei organisiert worden. Noch bevor die erste Gruppe von DDR-Bürgern bei einem für diesen Tag geöffneten Grenzübergang zwischen Sopron und St. Margarethen im Burgenland durchbrach, hatten auf österreichischer Seite Busse gewartet. Die bundesdeutsche Botschaft in Budapest gab am Sonntag keine Auskunft, wie viele DDR-Bürger noch in der Mission seien. Die aufsehenerregende Fluchtwelle und starke Regenfälle haben des "Paneuropäische Picknick" in der ehemaligen Sperrzone nördlich von Sopron gleichsam weggeschwemmt: Hunderte Teilnehmer hasteten zum Grenzübergang, um den in den nahen Wäldern wartenden DDR-Bürgern im Gedränge den Weg in die Freiheit zu ermöglichen. Das Fest, das auf eine Anregung des Europaparlamentariers Otto von Habsburg zurückging, lief ohne Ansprachen ab. Die Massenflucht fand am Sonntag auch bei Lockenhaus im Mittelburgenland eine Fortsetzung. Dort gelangten allerdings nur einige Dutzend DDR-Bürger, die sich unter ungarische und österreichische Teilnehmer eines Grenztreffens gemischt hatten, durch die Kontrollen. Auch aus anderen Orten des Burgenlandes wurde am Wochenende ein Anwachsen der Flüchtlingszahlen gemeldet. Ein Sprecher des Bonner Auswärtigen Amtes würdigte die Mithilfe der österreichischen Behörden bei Verorgung und Abtransport der DDR-Bürger als "prächtiges Beispiel guter Nachbarschaft".


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