Rede von Herrn Außenminister László Kovács anläßlich des 8. Jahrestages von "Paneuropäischen Picknick"
Unsere sehr geehrte ungarische und ausländische Gäste!
Meine liebe Freunde!
Vor acht Jahren, im Sommer 1989 war die Annäherung der Wende bereits recht spürbar. Die regierende Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei - unter Druck ihrer eigenen Reformflügel - ließ freien Weg dem Mehrparteiensystem. Die verschiedensten politischen Parteien kamen nacheienander zur Welt, bzw. gestalteten sich um nach vierzig Jahren Unexistenz. Es war offensichtlich, daá es im kommenden Frühling zu demokratischen parlamentarischen Wahlen kommt. Aufgrund der früheren Wirtschaftsreformen entstand eine Marktwirtschaft in großen Schritten. Ungarn war damals als ein vorreitendes Reformland in der sowjetischen Einflußzone berücksichtigt. Die ungarischen Staatsbürger genossen - im Vergleich zu den Bürgern der Nachbarländer mit ähnlichem politischen Regime - eine wesentlich größere Freiheit. Vom 1. Januar ab durften die Ungarn völlig unbegrenzt ins Ausland fahren. Die ungarische Außenpolitik knüpfte - abweichend von den anderen Warschauer Pakt-Mitgliedstaaten - die politische, wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen Ungarns zu den entwickelten, demokratischen Ländern immer enger. Im September 1988 nahm Ungarn diplomatische Beziehungen mit den Europäischen Gemeinschaften auf und im Sommer 1989 erhielt es ein "special guest" Status im Europarat. Auf ungarische Initiative wurden die Abbauarbeiten an der technischen Sperre an der ungarisch-österreichischen Grenze, am infamen "Eisernen Vorhang" im Frühling 1989 angefangen und im Juli beendet. Im Sommer 1989 nahm die Anzahl der als Touristen in Ungarn aufhaltenden und nicht heimkehren, sondern in die BRD weiterfahren wollenden DDR-Bürger fast von Tag zu Tag. Für die ungarische Regierung war von Anfang an offensichtlich, daß die Zurückschiebung der Flüchtlinge ins Gefängnis des Honecker-Regimes ihrer Politik und den rasch demokratisierenden Verhältnissen Ungarns widersprüche. Im Aussenministerium wurde es fieberhaft gearbeitet. Zusammen mit den anderen ungarischen Behörden wurde eine Lösung gesucht: welches Moment und welches Verfahren am geegnetsten wären, die tausenden von ostdeutschen Flüchtlingen aus dem Land herauszulassen. Die Risiken der verschiedenen Möglichkeiten wurden von uns sorgfältig überlegt und wir hielten permanenten Kontakt mit den Zuständigen in Österreich und in der BRD. Es kam zu regelmäßigen Kontakten zwischen den ungarischen Leitern und ihren deutschen Partnern, nämlich dem Ministerpräsidenten Miklós Németh, dem Außenminister Gyula Horn, bzw. dem Bundeskanzler Helmut Kohl und dem Bundesminister der Auswärtigen Hans-Dietrich Genscher. Kraft und Mut verlieh zu unserer Tätigkeit die Tatsache, dessen wir bewußt waren: die die Wende vorbereitenden verschiedenen politischen Kräfte, die Reformer der Einheitspartei immer an der Macht sowie die Politiker der neuen Parteien sind in der Frage der Grenzeneröffnung einstimmig einig. Wir wußten, daß die Eröffnung auch von der Bevölkerung Ungarns sowie von der Gemeinschaft der demokratischen Länder und ihrer Öffentlichkeit gefördert wird. Was sich am 19. August 1989 in der Nähe von Sopron vollzog, machte uns diese weitläufige Unterstützung eindeutig und greifbar. Die die Idee der europäischen Solidarität und der europäischen Einheit verkörpende Veranstaltung der "Paneuropäischen Union", an dessen Vorbereitung die neuen demokratischen, damals noch oppositionellen ungarischen Parteien aktiv teilnahmen und welche Veranstaltung auch mit der Zustimmung der Regierung ablief, ermöglichte es den hunderten von DDR-Bürgern, mit dem Üverschreiten der den Eisernen Vorhang losgewordenen ungarisch-österreichischen Grenze nach Österreich, dann daher in die BRD weiterzufahren. Anerkennung gebührt den Initiatoren und den Organisatoren der Veranstaltung sowie Dank gebührt dem Grenzschutz, den derzeit dort deinenden Grenzsoldaten, deren Mitwirkung versicherte den reibunglosen Ablauf der Grenzüberschreiten. Die Bedeutung des Ereignisses weist weit über die Befreiung der ein paar hunderte von DDR-Bürger hinaus. Das Geschehene beim "Paneuropäischen Picknick" symbolisierte den ununterdrückbaren Freiheitswillen der Völker, die Ablehnung der Spaltung Europas, das Engagement für die europäische Einheit. De heimischen und ausländischen Reaktionen des Geschehenes beim dann daher in die BRD, sein günstiges Echo verlieh eine morale Unterstützung der sich auf die Grenzeneröffnung vorbereitende ungarischen Regierung, die Ende August eine Entscheidung traf. Am 10. September 1989, um 00 Uhr 00 eröffnete sich die ungarisch-österreichische Grenze. In einigen Tagen flüchteten sich mehr als 60.000 DDR-Bürger über Ungarn nach Österreich, dann daher in die BRD. Die Grenzeneröffnung versetzte einen Todesstreich dem Honecker-Regime. In kaum zwei Monaten stürzte die jahrzentelang die Spaltung Europas symbolisierende Berliner Mauer zusammen und kurz darauf wurde die Einheit Deutschlands wiederhergestellt. Dadurch wurde das wichtigste Hindernis im Weg zur Schaffung des einheitlichen Europas beseitigt. Wir sind acht Jahre nach dem "Paneuropäischen Picknick" und der darauf folgenden offiziellen Grenzeneröffnung. Die Welt und Europa haben sich inzwischen viel geändert. Im Weg zur Schaffung des einheitlichen Europas bedeutet einen weiteren wichtigen fortschritt die Tatsache, daß die Erweiterung der euroatlantischen Organisationen, der NATO und der Europäischen Union schon angefangen worden ist. Auch Ungarn hat eine Umwandlung erlebt. Das Systemwechsel ist bei uns stattgefunden, der Pluralismus, die parlamentarische Demokratie haben sich befestigt. die Normen der Rechtstaatlichkeit kommen zur Geltung, die marktwirtschaftlichen Mechanismen sind ausgebaut worden. Der Geduld und die Opferbereitschaft der Bevölkerung hat uns ermöglicht, eine Wirtschaftsstabilität zu schaffen. Vom Druck der Sowjetunion, des Warschauer Paktes und des RGWs befreit konnte Ungarn bereits in voller Schwung auf dem Wege der euroatlantischen Integration vorangehen. Die Einladung Ungarns zu den Beitrittsverhandlungen mit der NATO und unsere gute Chancen, auch der Europäischen Union in der ersten Runde beizutreten gilt als eine Anerkennung der hinter uns gelassenen Strecke, unserer inneren wirtschaftlichen und sozialen Ergebnisse, sowie unserer Rolle in der Förderung der europäischen Einheit und der mitteleuropäischen Stabilität. Am Vorabend des Festes der Staatsgründung schauen wir gelichzeitig in die Vergangenheit und in die Zukunft. Wir gedenken unseres Königs Stephan des Heiligen, der als Staatsgründer vor fast tausend Jahren das Schicksal der Magyaren an europa knüpfte. Zugleich müssen wir uns vorbereiten, die sich jetzt beitende historische Chance zu ergreifen, um uns der NATO und der EU anschließen zu können. Wir sollen nicht vergessen: nur als Mitglied der Gemeinschaft der entwickelten Demokratien können wir ein sicheres, modernes, florierendes Ungarn schaffen, nur auf dieser Weise können wir wieder in die Hauptströmung der internationalen Entwicklung geraten.
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ISE, Sopron |