SALZBURGER NACHRICHTEN
Montag, 21. August 1989, Seite 2


Ungarn wiesen Flüchtlingen den Weg DDR verschwieg
bisher das Ereignis
Bonner Botschaft in Wien improvisierte "Vorher nichts gewußt" Europa-Picknicks soll ständige Einrichtung werden

WIEN, BUDAPEST, BONN (SN, MTI, dpa, APA).
Die Bonner Botschaft in Wien dementierte Sonntag, von der Massenflucht der DDR-Bürger aus Ungarn bei einem Paneuropa-Picknick in der Näjhe von Ödenburg vorher gewußt zu haben. Es standen zwar hinter der Grenze Autobusse bereit, auch für den Weitertransport von Wien, mit einem Sonderzug und mit Autobussen nach Giessen und in das neue Auffanglager Schöppingen bei Münster am Samstag und Sonntag war vorgesorgt, diese Maßnahmen seien "spontan" getroffen worden, hieß es in der Bonner Botschaft. Abgesehen von den rund 500 DDR-Bürgern, die bei dem Europa-Picknick über die Grenze kamen, gelang zum Wochenende noch weiteren 400 die Flucht von Ungarn nach Österreich in die Freiheit. Das Europa-Picknick unter der Schrimherrschaft des Präsidenten der Paneuropäischen Union, Otto Habsburg, war seit Monaten vorbereitet worden. Es fand in Sopronpuszta, einem kleinen Ort mit enem geschlossenen Grenzübergang nach Österreich statt. Für diese Veranstaltung mit Teilnehmern aus ganz Europa sollte das primitive Grenztor durch den alten Stacheldrahtzaun symbolisch geöffnet werden, um den freien Grenzübergang aller Europäer zu dokumentieren. Walburga Habsburg-Lothringen verlas eine Grußadresse ihres Vaters Otto Habsburg, wietere Redner waren der stellvertretende ungarische Minister Laszlo Vass und der steirische Bundesrat Vinzenz Liechtenstein. In einer Deklaration wurde festgehalten, jedes Jahr am ehemaligen Eisernen Vorhang ein solches Treffen abzuhalten. Wie die in Ungarn auf Urlaub weilenden DDR-Bürger von dem Treffen und der möglichen leichten Flucht erfahren haben, ist noch nicht ganz klar. Angeblich kursierten unter ihnen Flugblätter über das Ereignis. Etwa 500 DDR-Bürger mischten sich auf ungarischer Seite in das Festgewühl, 200 von ihnen rannten gegen 15.00 Uhr das symbolische Tor nieder und liefen nach Österreich, wietere 300 folgten an dieser Stelle bis 18.00 Uhr. Dann begannen die Ungarn bei der Zufahrt zum Festplatz und an der Grenze wieder mit schärferen Kontrollen. Tielweise wiesen, die Ungarn den DDR-Bürgern den Weg, in die Freiheit. In Österreich wurden die Flüchtlinge freundlich empfangen, Einheimische steckten ihnen teilweise Geld zu, österreichische Touristen brachten auf der Rückfahrt vom Urlaub Flüchtlingsgepäck mit über die Grenze, Gendarmeriebeamte brachten die Flüchtlinge in Omnibussen der bundesdeutschen Botschaft zunächst nach St. Margarethen im Burgenland und versorgten die völlig erschöpften Menschen. Die Flüchtlinge berichteten, teilweise ihre Autos und anderes Hab und Gut in Ungarn zurückgelassen zu haben. Viele erklärten, über das Europa-Picknick durch ein Flugblatt, das unter den Ausreisewilligen vor der deutschen Botschaft in Budapest verteilt worden war, erfahren zu haben. Die Freudenszenen in der Freiheit setzten sich bis zum Wiener Westbahnhof fort. Ein Bahnbeamter malte auf eine schwarze Tafel: "Sonderzug nach Giessen für Reisende aus der DDR in die BRD über Passau/Frankfurt auf Gleis 5." Mit dem Zehrgeld der Bonner botschaft in Wien in der Tasche stürmten die Menschen den Proviant-Kiosk am Westbanhof. Viele konnten endlich wieder lachen. Die DDR-Medien hatten bis Sonntag die Massenflucht verschwiegen. Weder die Nachrichtenagentur ADN noch die Fersehnachrichtensendung "Aktuelle Kamera" ging bis dahin auf das Ereignis ein.


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