SÜDDEUTSCHE ZEITUNG |
Wahlhausener Schüsse lenken von Sopron
ab
Der sinnlose Anschlag bietet den DDR-Medien Stoff
für Schlagzeilen
(Von Albrecht Hinze)
Berlin/DDR - Die DDR-Autoritäten und damit die DDR-Medien
nehmen offiziell weiterhin nicht oder allenfalls mittelbar von der derzeitigen
Flucthwelle aus ihrem Lande Kenntnis. Erich Honecker hat vor einiger Zeit
einmal die schöne Auskunft gegeben, die DDR sei entgegen anderslautenden
Verleumdungen ein Staat großer Informationsvielfalt. Zur Begründung
führte er an, daß ja Rundfunk und Fernsehen aus Westdeutschland
und Westberlin ihr Kontrastprogramm unbehindert hereinstrahlten. Honecker
erkannte damit unausgesprochen an, daß viel Wissensdurst und viel
Unterhaltungsbedürfnis der Menschen bei ihm von draußen befriedigt
werden oder anders herum: von innen nicht befriedigt werden können
oder sollen. In diesen Tagen, da die Massen-Auswanderung ins spektakulären
Besetzungs- und Fluchtszenen sinnfällig wird, rückt das besonders
ins Bewußtsein. Keineswegs behindert, sondern eher großzügig
geduldet, wenn nicht fast gefordert werden zunehmend und schon seit Jahren
der Satellitenschüssel-Bau oder die Verkabelung in jenen Gegenden
der DDR, die zu ungünstig für den herkömmlichen Antennen-Empfang
liegen. Das gilt für den Raum Dresden, die Lausitz, die östliche
Ostseeküste. Dies ist eine Flucht nach vorn: Denn in jenen "Tälern
der Ahnungslosen", wo die West-Faszination und das Gerüchtewesen
um so größer sind, wurden und werden noch immer - im Vergleich
zur Bevölkerungszahl - die meisten Ausreise-Anträge gestellt.
Die DDR-Medien haben sich längst darauf eingestellt und damit abgefunden,
von der Bevölkerung entweder gänzlich abgelehnt und ignoriert
oder höchstens als notdürftige Alternative zu den Westmedien
akzeptiert zu werden. Vor allem in gespannten Situationen, wie jetzt angesichts
der Botschaftsbesetzungen in Ostberlin, Budapest und Prag und der Ausreseflut
über Ungarn, reagieren die DDR-Medien regelmäßig zögernd
und unsicher auf die Nachrichten-Vorgaben aus dem Westen. Sie gehen offenkundig
zu Recht davon aus, daß die Neuigkeiten - und seien sie noch so aufwühlend
- vom übergroßen. Teil der Bevölkerung sowieso nicht auf
DDR-Kanälen gesucht und empfangen werden. Soi wird unter den Leuten
in der DDR zur Zeit zwar vielfältig über die politischen, wirtschaftlichen
und gesellschaftlichen Ursachen und Folgen des Exodus gesprochen: es wird
über Auswege, auch Reformauswege im eigenen Land, diskutiert. Aber
die herrschende Sozialistische Einheitspartei, die sich hier allezeit und
gern die führende Rolle zumißt, ist weggetaucht. Sie beschränkt
sich auf Hinweise und Signale: Zuletzt lernte man am Wochenende erneut
den Völkerrechtsstandpunkt kennen, den der stellvertretende Außenbminister
Krolikowski dem Kanzleramtsminister Seiters am Freitag vorgetragen hatte.
Zur Sche selbst, der sickernden und flutenden. Abwanderung, gibt es mindestens
vorest nur Schweigen. Der Mssenausbruch beim Grenzfestival in Sopron ist,
muß man hier meinen, überhaupt nicht geschehen. Dagegen kam
der sowieso unsinnige, pistolerohafte Anschlag auf das DDR-Grenzdorf Wahlhausen
an der Werra wie gerufen. Er macht nun die Schlagzielen in der DDR.
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